Klang und Kontemplation
Christine Ockenfels

Kontemplation

Die Weisheit der Eulen

© Christine Ockenfels

„Die von jeder Beimischung ganz und gar gereinigte Aufmerksamkeit
ist Kontemplation.

Simone Weil

Was ist Kontemplation? Im weitesten Sinn kann man sagen: Es ist eine Übung und innere Haltung, die Wahrnehmung, den Geist ganz auf den gegenwärtigen Augenblick auszurichten. Wohl gibt es verschiedene Weisen der Ausrichtung und Übung. Achtsamkeit wird seit Jahrtausenden praktiziert, insbesondere in der spirituellen Tradition des Hinduismus und Buddhismus. Der Ursprung der christlichen Kontemplation liegt in der vorchristlichen Antike. Hier gab es zunächst die kosmische Kontemplation (Thales, geb. um 624 v. Chr.) mit dem Blick nach außen (in den Sternenhimmel). Der griechische Philosoph Sokrates (geb. 469 v. Chr.) lenkte dann die kontemplative Ausrichtung nach innen hin zur Selbsterkenntnis.
Kontemplative Ausrichtung hat immer einen Bezug zu einer bestimmten Tradition. In allen Traditionen bzw. Religionen geht es letztlich darum, auf diesem Weg zu tieferer Erkenntnis und Transzendenzerfahrung zu gelangen. Um zu verstehen, was dabei geschieht, muss man diesen Weg selber gehen. Verstehen meint hier nicht rationales Erkennen, sondern die Erfahrung der nicht gegenständlichen Dimension der Wirklichkeit, die Transzendenz.

Auf der folgenden Seite klingt die Beziehung zwischen Kontemplation und Achtsamkeit an. Heute wird die Achtsamkeitsbewegung (mindfulness) als Form der Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit einem besonderen Wahrnehmungs- und Bewusstseinszustand verstanden und praktiziert. Im weitesten Sinn wird sie auch als Technik angewendet, um Leiden zu mindern. Ursprünglich ist die Achtsamkeit in der buddhistischen Lehre und deren Meditationspraxis verortet. Achtsamkeit ist eine spirituelle Haltung und Praxis. Wer sich darin übt und die Haltung der Achtsamkeit mit der Zeit in das eigene Leben integriert, wird schließlich die Erfahrung machen, dass er die Wurzeln der eigenen Spiritualität und Religion in einem neuen Licht sehen und begreifen kann. Menschen, die keine religiöse Vorprägung haben, verspüren dann oft den Wunsch, sich in ihrer Ausrichtung konkret zu verorten.

Es gibt viele Wege, auf denen wir Menschen zum Kern unseres wahren Selbst durchdringen können und uns das Geheimnis aller Wirklichkeit geschenkhaft offenbar werden kann. All diese Wege führen immer auch durch Dunkelheit und Ödnis. Das achtsame Wahrnehmen und das sich der Realität aussetzen, ohne sich abzulenken oder zu flüchten, führt zu einer immer tieferen Selbsterkenntnis. Der Mensch Jesus ist diesen Weg gegangen. Dieser Weg findet sich in allen mystischen Traditionen der Weltreligionen.