Klang und Kontemplation
Christine Ockenfels

Die Welt ist Klang

Alles ist Klang, die ganze Welt schwingt und klingt. Im Jahr 2004 hat die Raumsonde "Cassini" faszinierende Klänge des Planeten Saturn aufgezeichnet. SPIEGEL ONLINE veröffentlichte damals den Artikel: Kosmisches Konzert - Raumsonde hört Gesang des Saturns. Diese sphärischen Klänge erinnern an den Gesang von Delfinen und an ein schlagendes Herz. Mit unseren Ohren können wir sie nicht hören, aber die Astronomen haben sie durch Messungen unzweifelhaft nachgewiesen. Schon der griechische Philosoph und Mathematiker Pythagoras sprach von einer Sphärenmusik. Bei seiner Idee einer Sphärenharmonie handelt es sich dabei um Töne, die von den Planeten bei ihren gleichförmigen Kreisbewegungen erzeugt werden und zusammen einen kosmischen Klang ergeben. Nach Pythagoras ist dieser kosmische Klang für uns unhörbar, weil er ununterbrochen erklingt und uns nur durch den Gegensatz zwischen Klang und Stille zu Bewusstsein kommt.
Quelle zu Pythagoras: Wikipedia

Der Rückschluss, dass die Musik von den gleichen Gesetzmäßigkeiten bestimmt ist wie die Astronomie brachte Pythagoras zu der Annahme, dass der ganze Kosmos einer göttlichen Ordnung folgt. Fast zweitausend Jahre später führten  wissenschaftliche Forschungen Johannes Kepler zu der Erkenntnis, dass die Bewegungen der Planeten durch Zahlenverhältnisse bestimmt werden, welche sich in den Harmonien der Musik wiederfinden. Heute wissen wir, dass alle physikalischen Prozesse einer mathematischen Ordnung folgen. Diese Ordnung entspricht exakt den Verhältniszahlen der Obertonreihen. Obertöne entstehen durch die Schwingungswellen aus den Grundtönen.
Der Obertonsänger Wolfgang Saus beschreibt Obertöne als "... ein natürliches Schwingungsphänomen, das man im gesamten Kosmos wieder findet. Bei jeder Schwingung erzeugt die Grundschwingung zusätzlich schnellere Schwingungen, die sich überlagern. Das ist ein universelles Schwingungsverhalten der Natur, egal, ob es sich dabei um einen Schall handelt, oder ob es sich um eine Schwingung im atomaren, elektrischen oder auch im kosmischen Bereich handelt."

Quelle: Saus in Fachzeitschrift Klang-Massage-Therapie, 6/2008, S. 58ff.

Klangschalen sind besonders obertonreiche Instrumente, obwohl deren Klang keine exakte Obertonreihe aufweist, wie dies bei anderen Instrumenten (z.B. Klavier, Gitarre) der Fall ist. Deswegen kann physikalisch betrachtet (Verhältnis von Grundton und Oberton) nicht von einem harmonischen Klang gesprochen werden. Dennoch bewirkt der Gesamtklang einer oder mehrerer Klangschalen bei den meisten Menschen das Empfinden von tiefer innerer Harmonie. Dies ist wohl auf das Zusammenwirken der Obertöne zurückzuführen.

Der Mensch ist Klang
Einleitend ein wunderschönes Zitat des Toningenieurs Kavichandran Alexander:

"Musik entstammt der Bemühung des Menschen, sich mit der kosmischen Essenz in Einklang zu setzen, die in jeder Schöpfung wurzelt, dem Wogen dessen, das in Zeit und Raum Bewegung hervorruft – und dadurch Rhythmus. Diese Emanation der 'Silbe, die Gott ist', findet sich in jedem Atom wie in jeder musikalischen Note. Noten sind die Samen der Musik und die Samen der Schöpfung befinden sich im Klang. Durch die Musik, wird der Mensch auf den Puls der Schöpfung gestimmt und dadurch erhält er Eigenschaften des Schöpfers, in dessen Namen er schöpft. Wenn das erreicht ist, erfüllt Kunst ihren eigentlichen Sinn. Musik ist das Sakrament durch das der Mensch das Geheimnis seiner Schöpfung zelebriert." Dieses Zitat ist zu finden in einem Beitrag des Deutschlandfunks, der hier nachgelesen werden kann.

Alte Weisheitslehren vergleichen den Menschen mit der Saite eines Instruments, die gut gestimmt oder auch verstimmt sein kann. Die um 1300 in der Provence entstandene Schrift Scala Divini Amoris vergleicht den Leib des Menschen mit einer Viola. Unsere Adern seien hiernach klingende Saiten. Unser Leib wird zum Klangraum der Seele, in dem die göttliche Melodie erklingen und Resonanz finden kann. In der Scala Divini Amoris heißt es: "Und dein Leib mit den Saiten, die aus ihm heraustreten, bringt schließlich den Violenklang hervor und (der Leib) sagt: Um der Liebe willen."
In einem Video über den Geigenbauer Martin Schleske ist von ihm zu hören: "Die schönsten Momente sind die, wo ich das Empfinden habe, ich darf selber Werkzeug sein. Die einzige Frage, die unserem Leben gestellt werden soll und die wir zu beantworten haben, ist für mich die Frage: Wie möchtest du diesem Leben deine Liebe zeigen, wodurch und auf welche Weise?" Diese Frage führt in unsere Tiefe, den Acker, der den Schatz in sich birgt. Unser Leben ist ein fortwährender Schöpfungsprozess, geleitet von der Frage (Gottes): Wie bringe ich dich zum Klingen? Diese Frage impliziert die Frage: Was klingt in mir? Wenn wir die Antwort auf diese Frage vom Begriff unseres Körpers herleiten wollen, stoßen wir wahrscheinlich auf ein Problem. Dieser unser Körper ist per Definition "das, was die Gestalt eines Menschen oder Tieres ausmacht; äußere Erscheinung eines Menschen oder Tieres, Gestalt; Organismus eines Lebewesens" (vgl. Duden). Unser Körper ist im besten Fall ein gut funktionierender Organismus. Unser Leib aber ist ein Resonanzkörper, geschaffen, um zu lieben. Der Leib -  ein Klangraum, in dem die göttliche Liebe, das göttliche Licht, der göttliche Klang ankommen und Resonanz finden möchte.

Klang als Ursprung allen Seins - "Im Uranfang war das Wort. Das Wort war bei Gott. Und das Wort war Gott selbst. Im Uranfang war es bei Gott. Alles wurde durch das Wort geschaffen. Ohne das Wort ist nichts entstanden. In ihm war Leben, und dieses Leben war das Licht für die Menschen." (Aus dem Prolog des Johannesevangeliums).
Gesprochenes Wort ist Klang. Das ganze Universum ist aus dem Klang, durch Schwingung entstanden. Klang schuf die Welt und den Menschen. Klang durchdringt die Welt und den Menschen - Symphonie des Universums. Schon in uralten Schöpfungsmythen verschiedener Völker finden wir dieses Wissen, dass die Welt aus Klang erschaffen wurde. In den Veden berichten die Inder vom Anfang allen Seins, als nur Klang war, nur Tönen und Schwingen, keine Manifestation von irgendetwas. Dann erst materialisierte sich Klang. So entstanden Planeten, auch unser Lebensraum, Mutter Erde. Auch unsere eigene Körperlichkeit gründet sich auf energetischen Schwingungen.